Meine Rede

Meine Damen und Herren, Guten Abend!
Vielen Dank, dass Sie an der heutigen Abendveranstaltung teilnehmen.
Zuerst gilt mein Dank dem deutschen PEN-Zentrum und der Stadt Nürnberg dafür, dass sie mir angesichts der politischen Verfolgung Zuflucht gewährt haben. Das PEN-Zentrum hat mir ein Stipendium zur Verfügung gestellt und die städtische Wohnungsbaugesellschaft hat mir eine geräumige Wohnung bereitgestellt.
Ich danke ebenso herzlich der Leiterin des Menschenrechtsbüros der Stadt Nürnberg, Frau Mittenhuber und ihren Mitarbeiterinnen. Auch dem pensionierten Menschenrechtler Herrn Keli danke ich dafür, dass er sich meiner annimmt und mir hilft, im Alltag wie auch beim Erlernen der deutschen Sprache.
Mein Dankeschön gilt insbesondere dem Menschenrechtsbüro der Stadt Nürnberg, das die heutige Abendveranstaltung initiiert hat. Danke auch an anwesende Medienleute.
Zu allererst möchte ich Ihnen erzählen, warum ich mich für Deutschland entschieden habe. Mir zeigten alle Informationen nur Gutes: Deutschland hat sich in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise mehr als bewährt, indem es alle Erschütterungen so gut wie überwunden hat. Deutschlands Bruttoinlandsprodukt macht beinahe die Hälfte der gesamten Euro-Zone aus. Ich nehme an, dass die ganze Welt der Meinung ist: Deutsche sind am fleißigsten, auch bezogen auf Rechtsstaatlichkeit; sie bringen genauso eine gedeihende Wirtschaft hervor wie die USA, ohne aber ein genauso großes Gefälle zwischen Arm und Reich, wie dies in den USA der Fall ist, beklagen zu müssen. Auch die öffentliche Sicherheit in Deutschland ist besser als in den USA. All das verdient bei uns Chinesen Respekt. Wir sollen von Deutschland lernen. Aber der Hauptgrund für mich besteht darin: Im Osten Deutschlands hatte über Jahrzehnte eine kommunistische Herrschaft existiert. Sie haben reiche Erfahrungen damit, die kommunistische Diktatur zu überwinden. Ich möchte liebend gerne diese Erfahrungen hierzulande studieren.
Nun komme ich dazu, über die Katastrophen im Menschenrechtsbereich zu berichten, die unter kommunistischer Herrschaft in China passiert sind und immer noch passieren. Diese Katastrophen stellen locker alle historisch aufgezeichneten Katastrophen der Menschheit in den Schatten. 1949 ergriff die KP Chinas mit Hilfe der Sowjetunion die Macht. Seitdem fielen der Herrschaft dieser Partei zig Millionen Menschen zum Opfer. Dies schließt die menschengemachte Hungersnot zwischen 1958 bis 1961 genauso ein wie alle politischen Kampagnen, die ausnahmslos auf das Konto des KP-Regimes gehen. Meine Familie liefert hierfür einen anschaulichen Beweis. Mein Großvater väterlicherseits wurde von der KP Chinas als Grundbesitzer eingestuft. Er wurde von den KP-Handlangern verschleppt. Sie wollten ihn in der Nacht bei lebendigem Leibe begraben. Dank seines unverwüstlichen Willens durchbrach er mit Fingernägeln Stückchen für Stückchen die Fesseln und entkam, während sich seine Peiniger betranken, um auf die Dunkelheit zu warten. Mein Großvater mütterlicherseits wurde 1959 zur Arbeit an der Eisenbahn gezwungen. Später wurde seinen Familienangehörigen mitgeteilt, er sei auf der Baustelle umgekommen. Als seine Schwester seinen Leichnam entgegennahm, stellte sie fest, dass seine beiden Hände grün gefärbt waren. Menschen, die mit ihm auf der Baustelle gearbeitet hatten, erzählten: Weil er als reicher Bauer der Ausbeuterklasse zugeordnet wurde, habe er nur eine geringe Nahrungsmittelration bekommen. Um den quälenden Hunger zu stillen, rieb er Baumblätter zwischen den Händen. Leider konnten diese Blätter ihm zu wenig Energie geben. Am Ende verhungerte er auf der Baustelle.
Infolge dieser Klassenzuordnung der KP Chinas durften meine Eltern die Mittelschule nicht besuchen, sie mussten nach der Grundschule in Kollektiven arbeiten. 1964 war mein Vater 18 Jahre alt. Unter Verdacht, eine „konterrevolutionäre Clique“ zu organisieren, wurde er festgenommen und gefoltert. Das bescherte ihm lebenslängliche Invalidität. Auch meine Mutter musste sich in ihren jungen Jahren immer wieder öffentlichen Schmähungen aussetzen. Es gibt Tausende und Abertausende Familien, die mit uns das gleiche Leiden teilen. Genauso wie wir leben einige Generationen dieser Familien mit diesen schmerzlichen Erinnerungen.
Ich, als die dritte Generation dieser Familien, habe von klein auf gehört und gesehen, was meiner Familie zugestoßen ist. In mir wächst ein immer klarer werdendes Bewusstsein, was für ein Wesen dieser Partei zugrunde liegt. Seit meiner Oberschulzeit habe ich mir in den Kopf gesetzt: Ich möchte mich für Demokratie und Freiheit in diesem Lande engagieren.
Ab 2004 führte ich Schulungen durch, um die Arbeiterschaft über ihre Rechte aufzuklären, die man wegen der Gehirnwäsche des KP-Regimes nicht kennt; ich gründete eine Organisation zur Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten; ich forderte freie Wahlen und machte die Menschenrechtsverletzungen öffentlich. Deswegen wurde ich immer wieder illegal inhaftiert, gedemütigt, gefoltert und verschleppt. Gleichzeitig wurde ich von der Polizei von verschiedenen Orten vertrieben.
Zweimal war es für mich ganz schlimm. Einmal geschah es im Juni 2010, kurz vor dem chinesischen Drachenbootfest, wie nachher der Film zeigen wird: Tief in der Nacht wurde ich von der politischen Polizei in Peking verschleppt, misshandelt und im Gebirge außerhalb von Peking ausgesetzt. Die zweite Verschleppung erfolgte 2011, als im Nahen Osten der Arabische Frühling Zeichen der Demokratisierung auch nach China brachte. Viele Chinesen hofften, die Jasmin-Revolution könnte auch China eine Chance gewähren, demokratischer zu werden. Tausende von Aktivisten mit dieser Hoffnung wurden landesweit von der KP Chinas in Haft genommen.
Als ich von der politischen Polizei heimlich verschleppt wurde, wechselten sie viermal ihre Verhörorte, alle vier höchst geheim. Ich wurde verprügelt, mit Elektrostangen unter Schock gesetzt, anschließend Kälte und Hunger ausgesetzt. Sie setzten mich solange unter elektrischen Schock, bis mein Hals und Gesicht so schwarz wie Isoliermaterial wurden, dann attackierten sie meine Ohren mit den Elektrostangen, so dass mir vorkam, als ob unzählige glühend heiße Stahlstiche ins Gehirn bohrten.
Die KP Chinas betrachtet alle westlich-demokratischen Gesellschaften immer als ihren größten Feind. Jedes Mal, wenn sie Dissidenten verhaftet, versucht sie herauszufinden, welche demokratische Staaten aus Europa und aus Amerika hinter uns stecken. So wurde ich, noch am selben Tag meiner Verschleppung, während der Folter immer wieder mit höchst erniedrigenden Fragen konfrontiert: „Wer ist dein Unterstützer? Ist Dein Vater USA oder EU?“ Unter Druck internationaler Menschenrechtsorganisationen mussten sie, 45 Tage nach meinem Verschwinden, mich wieder auf freien Fuß setzen, gegen Unterschrift meines Vaters. Und gegen die Auflage, ich dürfte das Dorf meiner Eltern nie wieder verlassen. Sonst würden sie auch meine Eltern inhaftieren. Ich kam aus der Haft heraus und sah meinen Vater neben einem Polizeiwagen stehen. Innerhalb von nur 45 Tagen schien mein Vater bis auf die Knochen abgemagert und so schwach, dass er kaum einem Windstoß standhalten konnte. Und schlimmer: Er ist innerlich gebrochen. Nachdem ich verschwunden war, erkundigte er sich, lange vergeblich, nach mir. Er fragte die Polizei, erhielt die Antwort: Keine Ahnung. Währenddessen verstreute die Polizei Gerüchte, etwa, sie hätten im Yangtse eine Leiche gefunden. Meine Familie solle kommen, um die Leiche zu identifizieren. Bis heute behelligt die Polizei noch ständig meine Eltern, lässt sie mir sagen, ich dürfe mich nicht mit der KP Chinas verfeinden. Ihr Telefon wird so manipuliert, dass ein Durchkommen sehr schwierig ist. Wenn ich sie anrufe, ist entweder kein Signal oder keine Stimme von uns zu hören.
Meine Damen und Herren, Sie alle wissen, Nürnberg ist die Stadt der Spielwarenmesse, die eng mit China als Werkbank der Welt verbunden ist. Ich möchte bei dieser Gelegenheit Ihnen über die verletzten Rechte chinesischer Arbeiter berichten.
Am 20. Januar 2014, zehn Tage vor dem chinesischen Neujahrsfest, erhängte sich ein neunjähriger Junge in einem Dorf der Provinz Anhui. Der Grund: Er hörte, dass seine Eltern, „bäuerliche Arbeiter“ in Südchina, nicht nach Hause kommen konnten, um mit der Familie zu feiern, und nahm sich aus Traurigkeit im Bad das Leben. Im heutigen China existiert eine sonderbare Gruppe von Menschen, einige Hundertmillionen an der Zahl. Sie werden „bäuerliche Arbeiter“ – im Westen als Wanderarbeiter – genannt. Das bedeutet: Sie sind Bauern, haben nur die Berechtigung, auf dem Lande zu leben. Aber sie verdingen sich in den Städten. Da sie in Dörfern zur Welt gekommen sind, bleiben sie ein Leben lang Bauern, selbst wenn sie zig Jahre in blutsaugerischen Fabriken in den Städten geschuftet haben. Alle Formalitäten, etwa Personalausweise, Reisepässe, Reisegenehmigung für Hongkong und Macao, Heiratsurkunden und die Erlaubnis zur Schwangerschaft und Mutterschaft, was wegen der Ein-Kind-Politik des KP-Regimes nur in der VR China existiert – für all diese Formalitäten müssen sie einige tausend Kilometer per Zug zurücklegen, um sich in ihrer dörflichen Heimat dortigen Bürokraten und deren Schikanen zu unterwerfen. Meist mussten sie diese auch noch bestechen, um irgendetwas zu bekommen.
Die genannten „bäuerlichen“ Arbeiter schuften täglich mehr als zehn Stunden, manchmal am Stück 48 bis 72 Stunden. Manche bekommen pro Monat nur einen freien Tag. Und sie verdienen weniger als 300 Euro pro Monat. Viele Fabriken rekrutieren Minderjährige. Nicht selten fallen selbst junge Menschen aufgrund Übermüdung an ihren Arbeitsplätzen tot um. Arbeiter dieser Gruppe dürfen, ähnlich wie Sklaven, normalerweise ihre Fabrik nicht verlassen. Sonst riskieren sie Prügel, die ihnen Sicherheitskräfte gegen Entlohnung durch ihre Arbeitsgeber verabreichen. Sie wohnen, nach Mann und Frau, getrennt in den Baracken, meist zu Dutzenden in einem Zimmer. Eheleute leben getrennt, Kinder bleiben in den Dörfern, den Großeltern überlassen. In den berühmt-berüchtigten Fabriken der Firma Foxconn sprangen ein Dutzend junge Menschen von hohen Gebäuden aus in den Tod, weil sie die Sklaverei nicht mehr aushielten. Aber der Besitzer dieser Fabrik kann sich jeder Strafe entziehen, weil er die besten Beziehungen zu Kadern aller Regierungsebenen in China unterhält. Er heißt Guo Taiming, stammt aus Taiwan. Ich habe versucht, taiwanesische Journalisten und Gelehrte dazu zu bewegen, ihn aufzudecken. Ihre Antwort lautet: Guo kommt mit Machthabern wie mit Mafia bestens aus. Keiner wagt, ihn herauszufordern.
Viele westliche Länder, ihren wirtschaftlichen Interessen folgend, treiben Handel mit der VR China. In Wahrheit treiben sie Handel mit dem Teufel. Sie verkaufen ihre Seelen.Weitreichend ist inzwischen die Infiltration der VR China in westlicher Politik, Wirtschaft, Kultur, Bildung und Medienwelt. Am 12. Dezember 2013 fasste das Europaparlament einen Beschluss mit der Forderung an das KP-Regime, umgehend Organentnahmen bei lebenden Menschen zu stoppen. Soweit ich informiert bin, haben deutsche Medien hierüber kaum berichtet. Wir haben westliche Medien durchforstet und fanden keinen einzigen Bericht über diesen wichtigen Beschluss. . Noch eine Tatsache, die vielen nicht wirklich bekannt ist: Die KP Chinas hat nun in westlichen Ländern viele Konfuzius-Institute eingerichtet und behauptet, diese dienten der Verbreitung traditionell-chinesischer Kultur. In Wirklichkeit handelt es sich hierbei um eine politische Institution, die der roten Propaganda der KP dient. Sie helfen Lügen dieser Partei zu verbreiten. Sie versuchen, Diskussionen über Themen, die in den Augen der chinesischen Regierung sensitiv sind, einzuschränken. Offen gesagt: Es ist versuchte Zensur, die Meinungsfreiheit verletzt.
„Solange ein einziger Mensch versklavt ist, sind alle unfrei“. Der Kampf der Chinesen um ihre Freiheit ist ein Bestandteil des Kampfes der Menschheit gegen Sklaverei und Unterdrückung. Deshalb appelliere ich an Sie alle, den Menschenrechten in China noch mehr Aufmerksamkeit zu widmen und uns Chinesen dabei zu helfen, möglichst bald Demokratie und Freiheit in unserem Lande zu realisieren.
Ich danke Ihnen alle für Ihre Zeit.